Das Werk von Peter Fuchs – eine Einordnung
Peter Fuchs zählt zu den führenden Systemtheoretikern unserer Zeit. Sein Werk befasst sich mit dieser Theorie, schreibt sie um auf spezifische Themen, schreibt sie weiter, gibt ihr einen veränderten Zuschnitt.
Fuchs wechselte im 2. Semester seines Soziologiestudiums nach Bielefeld dezidiert, um sich mit Luhmanns Systemtheorie auseinanderzusetzen – in einem Seminar zum Thema mönchisches Schweigen. Luhmann erkannte das Fuchs’sche Talent und bot ihm an, die Ideen des Seminars in einer gemeinsamen Publikation zu reflektieren.(1) Aus diesem Anstoß wurde eine über Jahrzehnte währende Zusammenarbeit zur Formierung und Gestaltung der Systemtheorie Bielefelder Provenienz. In langen Telefonaten diskutierten sie ihre Thesen: Sie waren füreinander Resonanzen und entwickelten gemeinsam und getrennt die Ideen weiter.
Systemtheorie ist universell auf alle sozialen Phänomene anwendbar. So ist in Fuchs‘ Schriften ein breites Spektrum an Themen zu finden. Ebenso verschieden sind seine literarischen Mittel: von wissenschaftlich geschriebenen Werken über Zeitungskolumnen, Abhandlungen in Dialogform, einem Gedichtband (2) und einer Abenteuergeschichte für Kinder und Erwachsene. (3) Man findet also zur Komplexität der Systemtheorie eine „Parallelpoesie“ (Luhmann), die Dasselbe noch einmal anders erzählt: Theorie als Lehrgedicht. (4)
Fuchs hat in der Systemtheorie früh eigene Akzente gesetzt. So bezieht er deutlich stärker als Luhmann Jacques Derrida ein (5) und formuliert für verschiedene Zweige der Theorie Alternativen: Probat experiri (Es gefällt auszuprobieren) – sein Leitmotiv der Theoriearbeit. Wie für Luhmann, ist Theorie für Fuchs nichts Fertiges oder Festgefügtes, sondern ein Gebilde, das sich unentwegt verändert und sich verändern lässt: Theorie als Spiel mit Ideen in je anderen Kombinationen. Der Anlass für Veränderungen ist oft eine offene Stelle der Theorie (z.B. die Differenz zwischen Psyche und Bewusstsein), ein zu wenig konturiertes Thema (z. B. Psychotherapie, Beratung), eine Ungereimtheit (z. B. Autopoiesis), eine wenig elegante Lösung (z. B. Ko-Produktion). So ist er ein eigenständiger Weiterentwickler der Theorie, für die Niklas Luhmann die Grundlagen gelegt hat.
Fuchs schreibt entsprechend nicht „ein für alle Mal“. Themen tauchen in späteren Schriften wieder auf – in einem anderen Kontext und daher anders relevant. Ein alter Faden des Theorieknäuels wird für neue Zwecke noch einmal fruchtbar gemacht. Wie Luhmann es selbst getan hat, schreibt Fuchs seine eigenen Positionen weiter und verhindert, dass diese dogmatisiert werden. Mit jeder neuen Publikation „entwischt“ Fuchs der Leserschaft.
So ist sein Werk anregend – Denkanstoß erregend –, aufregend (für Theoriefans), irritierend, weil Gegebenes unterlaufend, und heiter, weil ohne Wahrheiten auskommend. Im besten Sinne ist es „fröhliche Wissenschaft“ (Nietzsche).
(1) Niklas Luhmann & Peter Fuchs (1989): Reden und Schweigen. Frankfurt: Suhrkamp
(2) Peter Fuchs (2014): Schirling und Balustrade. Gedichte. In: Peter Fuchs & Uli Reiter: Hagazussa. HeckenSichten. Berlin: Kadmos
(3) Peter Fuchs (2016): Die seltsame Geschichte von Anna und Clara und Thankyou – und von PLEASE, dem Herrn der Schieflagen. Weilerswist-Metternich: Barton
(4) Peter Fuchs (2001): Theorie als Lehrgedicht. In: Pfeiffer, Kray & Städtke (Hrsg.): Theorie als kulturelles Ereignis. Berlin: de Gruyter
(5) Peter Fuchs (1995): Die Umschrift. Frankfurt: Suhrkamp